Sonntag, 21. April 2013

Das Gutshotel

Dies ist eine Geschichte, die ich (fast) so ähnlich selbst erlebt habe und heute bei neobooks den Rezensenten zum "Draufstürzen" vorgeworfen habe ;-)

--> "Das Gutshotel" von Jo Jansen

Natürlich interessieren mich auch Eure Meinungen. Der Titel z.B. klingt mir noch nicht knackig genug ... Daher, für alle, denen neobooks zu umständlich ist, hier die komplette Geschichte in ihrer ersten Fassung. 


2052

Oma, noch mal die Spukgeschichte, bitte!“

Wer je in die braunen Kulleraugen meiner beiden Enkelinnen gesehen hat, der wird verstehen, dass ich ihnen fast keine Bitte abschlagen kann. Auch wenn es mir, selbst nach so vielen Jahren, bei der Erinnerung an die Ereignisse immer noch eiskalt den Rücken hinunterläuft. So rücke ich mir das Samtkissen unter meiner linken Pobacke zurecht, damit ich in meinem Lieblingssessel halbwegs gerade sitze, und schaue mit wichtiger Miene über den Rand meiner Brille auf Caroline und Carmen hinab, die es sich zu meinen Füßen auf dem Teppich bequem gemacht haben und erwartungsvoll zu mir heraufblicken.


2013

Nach einem sehr erfolgreichen Gespräch, das mit einem Vertragsabschluss endete, war ich auf dem Heimweg, hatte jedoch keine Lust zur Kilometerjagd auf der Autobahn. Stattdessen ließ ich mein Cabriolet mit offenem Verdeck die Alleen entlangleiten, genoss den Blick auf Wiesen und Wälder, und sah ab und zu einen See in der Sonne glitzern. All diese Ruhe, dieses Spiel von Licht und Schatten, zogen mich so dermaßen in ihren Bann, dass ich unmerklich immer langsamer wurde, gar nicht mehr fort wollte von hier. Ein Hupen riss mich aus meinen Träumen – ausgerechnet ein Traktor mit langem Anhänger, der hinter mir her rumpelte und dessen Fahrer ich zu langsam fuhr. Im nächsten Moment fiel mir ein kleines Schild an der rechts liegenden Abzweigung auf: Gutshotel stand dort in leuchtend grünen Buchstaben. War es Schicksal, dass ich automatisch den Blinker betätigte und rechts abfuhr?

Eine doppelreihige Pappelallee führte schnurgerade auf ein Anwesen zu. Es war ein erhabenes Gefühl, als führe ich durch den Säulengang einer Kathedrale. Die Spätnachmittagssonne fiel zwischen den schlanken Bäumen hindurch wie durch gotische Fenster und malte flirrende Muster auf das Kopfsteinpflaster. Das schmiedeeiserne Tor am Ende der Allee stand einladend offen und so knirschte kurz darauf der Kies der Auffahrt unter den Reifen, während ich mein Auto langsam auf das Gutshaus zurollen ließ. Es war ein imposantes Gebäude, ganz aus Backstein erbaut, mit Türmchen, Erkern und Balkonen, sowie einer großen, geschwungenen Freitreppe. Im Hintergrund des gepflegten Gartens sprühte eine Fontäne. Alles strahlte eine stille Eleganz und Ruhe aus und ich fühlte mich um einhundert Jahre in der Zeit zurückversetzt. Direkt am Fuße der Freitreppe ließ ich mein Auto zum Stehen kommen und blickte hinauf. Die Treppe war von einer, ebenfalls aus Backstein errichteten, Mauer eingefasst und bei genauerem Hinsehen erblickte ich an ihrem Rand zwei winzige Hände und einen rotblonden Wuschelkopf.

„Hallo?!“, rief ich, worauf die Hände und Kopf verschwanden und im nächsten Moment ein etwa zehnjähriger Junge vor mir stand – mit ebendiesem rotblonden Wuschelkopf, einem ehemals weißen T-Shirt und zerschrammten Knien, die Hände tief in den Taschen der kurzen Hose vergraben. Schräg über seine Brust lief der Riemen einer Art Tasche, die hinter seinem Rücken verborgen blieb. Ich versuchte, seinen aufgesetzt grimmigen Blick zu ignorieren und nicht sofort in Lachen auszubrechen. Stattdessen sagte ich noch einmal:
„Hallo ihr zwei!“, da der Besitzer der winzigen Hände immer noch im Verborgenen blieb. Diese Ansprache überraschte meinen jungen Helden, denn die Grimmigkeit in seinem Blick verschwand und, leicht verunsichert, antwortete er:
„Aber ich bin doch ganz allein.“
„Wer bist du denn?“
„Ich bin Robin, wie Robin Hood, und ich bin neun, aber im Oktober werd' ich zehn.“
Wie, um seine Aussage zu beweisen, zog er einen selbst gebauten Bogen und ein paar Pfeile in einem ledernen Köcher hinter seinem Rücken hervor. Im ersten Moment war ich beeindruckt, doch dann fiel mein Blick auf seine Hände und ich erschrak. Diese winzigen Hände, die ich am Rande der Mauer gesehen hatte, und die aussahen, als gehörten sie zu einem Zwei-, höchstens Dreijährigen, das waren Robins Hände. Sie wirkten so abartig fremd an einem ansonsten, wie es schien, normal entwickelten Körper, dass ich mich fragte, welches Schicksal ihm widerfahren sein mochte. Robins Blick ruhte auf meinem Gesicht, er beobachtete mich. Hatte er meine Irritation bemerkt? Um die Situation zu überspielen und auch, um mein eigentliches Anliegen vorzubringen, fragte ich ihn:
„Kannst Du mir helfen? Ich würde gern hier übernachten.“
„Klar. Komm, ich bring Dich zu meiner Mama. Sie ist hinten im Garten.“

Ich stieg aus und er hielt mir seine Hand hin. Nur widerwillig ergriff ich sie und erschrak ein zweites Mal – sie war eiskalt.

„Thora von Weyden, aber nennen Sie mich einfach Thora - herzlich willkommen.“ Eine schlanke, elegante Frau, deren rote Lockenmähne sie eindeutig als die Mutter von Robin kennzeichnete, erhob sich aus einem der Korbstühle, die im Schatten eines riesigen Apfelbaumes standen, kam auf mich zu und streckte mir ihre Hand zur Begrüßung entgegen. Ich ergriff sie freudig, auch weil ich so endlich die Hand ihres Sohnes freigeben konnte.

Robins Mutter war eine faszinierende Frau, Ende dreißig, mit einem ungewöhnlichen, schönen Gesicht. Fast schien es, als habe ein Maler einem Porträt zwei Gesichter gegeben. Während Thoras rechte Gesichtshälfte die einer Frau in den besten Jahren war – gepflegt, aber mit kleinen Fältchen, insbesondere am Mund und am rechten Auge, bot sie von links einen nahezu makellosen Anblick. Keine Falte, ja nicht einmal ein Fältchen konnte ich auf der linken Seite ihres Gesichts erkennen. Als gehörte dieser Teil ihres Gesichts einer gerade zwanzigjährigen Frau. Mir wurde bewusst, dass ich die Mutter ebenso anstarrte, wie kurz zuvor ihren Sohn und ich versuchte die Peinlichkeit der Situation zu überspielen, indem ich mich vorstellte:
„Amalia Grand, Schriftstellerin, Sie dürfen gern Amalia sagen.“
Thora lächelte erfreut, das heißt, ihre rechte, ältere Gesichtshälfte lächelte. Die linke Seite blieb regungslos. Eine missglückte Botoxbehandlung?
„Oh sehr schön. Wollen Sie etwa über unser Spukschloss schreiben?“
„Ähm, nein, eigentlich wollte ich hier nur übernachten. Gibt es denn Spukgeschichten über dieses Haus zu erzählen?“
„Nun, im Dorf erzählt man sich so einiges, aber ich versichere Ihnen, das ist alles nur Gerede. Als Anfang des letzten Jahrhunderts der letzte Gutsherr starb, richtete man hier ein sogenanntes Siechenheim ein. Müssen schlimme Zustände gewesen sein, mit bettlägerigen Menschen überfüllte Säle, überfordertes Personal, mangelhafte Hygiene ...“
Thora zeigte mit weit ausholender Geste über das Anwesen.
„Sie können sich gar nicht vorstellen, wie das nach der Wende hier aussah. Mein Mann Friedrich und ich haben das Gutshaus günstig erworben, all unsere Ersparnisse hineingesteckt, wollten hier leben und viele Kinder bekommen. Kurz vor Robins Geburt starb er dann.“
Sie schluckte.
„Ein tragischer Unfall. Er ist die Treppe hinab gestürzt.“
Mein Blick ging automatisch hinüber zur großen Freitreppe, was Thora nicht unkommentiert ließ.
„Nein, nicht diese. Im Haus gibt es neben der großen Treppe noch eine schmale, steile, die früher den Dienstboten vorbehalten war. Seit dem Unfall benutzen wir sie nicht mehr. Und ich vermiete an Übernachtungsgäste.“
Es schwang Verbitterung in ihrer Stimme mit.
„Tun Sie mir den Gefallen und essen mit uns zu Abend? Wir haben im Moment keine weiteren Gäste.“
„Gern. Ich möchte nur vorher noch ein Stückchen spazieren gehen.“
„Aber natürlich. Lassen Sie sich Zeit. Wir essen um acht, Robin hat ja Ferien. Links durch den Park gelangen Sie ins Dorf, rechts am Bach entlang zum Wald. Es wird Ihnen hier gefallen.“

Thora behielt recht, der Spaziergang gefiel mir sehr. Ich wählte zunächst den Weg am Bach entlang, entdeckte dort tatsächlich Biberspuren – sie waren eindeutig erkennbar – kegelförmig abgenagte Äste und Stämme von kleinen Bäumen am Bachufer. Nur die Biberburg selbst blieb mir verborgen. Dafür stieß ich auf ein Schild mit der Aufschrift Rundweg und gelangte so, durch den Wald, in großem Bogen zurück ins Dorf. Das kleine Kirchlein stand auf einem Feldsteinsockel und war ansonsten ebenfalls ganz aus Backsteinen erbaut, wie das Gutshaus. Es wurde von einem windschiefen Turm gekrönt und von einer noch schieferen Mauer eingefasst, hinter der ich ein paar Grabsteine krumm und buckelig hocken sah. Ich liebe alte Friedhöfe, sie geben unserem Dasein ein Gefühl von Relativität, als wäre all unser Kummer, all unsere Freude, schon einmal gelebt worden. Nur eben von anderen Menschen.

Andächtig schritt ich durch die Reihen. Armeleutegräber mit einfachen, schwarzen Steinen oder kleinen Grabplatten, die meisten mit Efeu überwuchert, doch deuteten vereinzelte Blumensträuße darauf hin, dass noch Angehörige in der näheren Umgebung leben mussten. Im hinteren Teil des Friedhofs gab es im Schatten einer alten Eiche eine Wiese mit einer großen Tafel. Hier lagen die Toten des Siechenheims. Ich zählte weit über zweihundert Namen auf der Tafel und wagte mir gar nicht vorzustellen, wie man sie hier begraben hatte. Am Ende der Wiese ragte ein Bauwerk aus hellem Sandstein auf, das fast schon freundlich wirkte in dieser düsteren Umgebung. Interessiert trat ich näher und erkannte, dass es sich dabei um die Gruft der Familie von Weyden handelte. Einem antiken Tempel nicht unähnlich, nur dass keine klassischen Säulen das dreieckig emporragende Dach trugen, sondern stilisierte Trauerweiden. Ein schmiedeeisernes Gitter verwehrte den Zugang ins Innere der Gruft. Die Jahreszahlen auf der, aus glänzendem Marmor bestehenden, Tafel ließen mich stutzig werden. Friedrich von Weyden 18.2.1959 – 25.9.1998. Hatte Thora nicht gesagt, ihr Mann sei kurz vor Robins Geburt gestorben? Und Robin wiederum hatte mir stolz berichtet, dass er im Oktober zehn Jahre alt würde? Dann war Friedrich bereits fünf Jahre tot, als Robin auf die Welt kam, und konnte somit nicht sein Vater sein.

Eine schnarrende Stimme riss mich aus meinen Überlegungen.
„Gehör'n Se zu denen?“
Eine kleine, alte Frau, in schwarzer Kittelschürze mit grauen Blümchen darauf, kam in Gummistiefeln auf mich zugeschlurft. In der linken Hand trug sie eine kleine Gießkanne, den Zeigefinger der rechten Hand hielt sie fast anklagend auf die Gruft gerichtet, während ihre Frage noch in der Luft hing.
„Nein“, beeilte ich mich zu versichern, als fühlte ich mich zu Unrecht verdächtigt. „Ich bin nur auf der Durchreise und übernachte im Gutshotel.“
„Besser für Sie!“
Damit hatte sie nun doch meine Neugierde geweckt.
„Warum?“
Die Alte kam so nahe, dass ich ihren schlechten Atem riechen konnte, blickte mich mit kleinen Augen fast verschwörerisch an und schnarrte leise:
„Weil es eine Schande ist.“
Ich verstand immer noch nichts. Meinte sie Robins Geburt so lange nach dem Tod seines angeblichen Vaters? Die Alte sah wohl meine Ratlosigkeit und zog mich zu einer steinernen Bank im Schatten der großen Eiche. Dort erfuhr ich von ihr, dass Friedrich von Weyden, kaum dass die wichtigsten Sanierungsarbeiten am Gutshaus erledigt waren, diese Gruft anlegen ließ. Er fühlte sich dazu berufen, nach alter Gutsherrenmanier zu residieren und meinte, eine Familiengruft gehöre dazu. Dass er diese auf der Fläche des ehemaligen Massengrabes vom Siechenheim anlegte, schien ihn nicht zu stören. Knochen, die bei den Baggerarbeiten ans Tageslicht kamen, wurden einfach an anderer Stelle wieder verscharrt.
„Wer die Totenruhe stört, kommt selbst zu Tode …“
Für die Alte war es ganz klar, dass es sich bei Friedrichs Treppensturz um keinen Unfall handelte, sondern um die Rache der Geister der Verstorbenen.
„Auf dem Haus und der Familie liegt ein Fluch. Ich würde keinen Fuß ins Gutshaus setzen, niemals.“
Sie bekreuzigte sich, schnappte sich ihre kleine Gießkanne und schlurfte davon. Nachdenklich sah ich ihr hinterher. Natürlich glaubte ich nicht an solchen Spuk. Aber schließlich war ich Schriftstellerin und warum sollte ich nicht zur Abwechslung einmal eine Geistergeschichte schreiben? Thora könnte mir sicher noch ein paar Fragen beantworten.

Mein knurrender Magen erinnerte mich daran, dass die Zeit des Abendessens nahte und so machte ich mich auf den Rückweg. Kaum hatte ich den Friedhof verlassen, erfasste mich eine angenehme Fröhlichkeit. Die Vögel sangen ihr Abendlied, Blumen dufteten am Wegesrand und ich würde mir den Spaß erlauben und eine Gruselgeschichte schreiben. Thora erwartete mich bereits und zeigte mir mein Zimmer. Es war riesig, mit einer großen Flügeltür, einem Balkon zum Garten hin und einem wundervollen Himmelbett in der Mitte des Raumes, sodass ich mich fast wie eine Prinzessin in ihren Gemächern fühlte. Bis mir wieder einfiel, dass bis vor knapp fünfundzwanzig Jahren wohl zwanzig Menschen in so einem Raum gelegen hatten.

Das Abendessen war einfach, aber gut. Es gab frisches Brot, Käse, Salat und einen herrlich fruchtigen Brombeerwein – selbst gemacht, wie Thora mir versicherte. Unser Gespräch drehte sich um belanglose Themen. Thora berichtete vom Umbau des Gutshauses und interessierte sich zu erfahren, welche Bücher ich bereits veröffentlicht hätte. Ich ließ ihr „Nach(t)Sicht“ als Geschenk da. Weil Robin die ganze Zeit über mit am Tisch blieb, wagte ich nicht, das Gespräch auf Friedrichs Tod und das Spukthema zu lenken. Eine plötzliche Müdigkeit ließ mich meine Fragen auf den nächsten Morgen verschieben. Dann, so hoffte ich, würde ich Thora noch einmal allein sprechen können.

Von meinem Zimmer gingen zwei kleine Türen ab. Eine davon führte in eine leer stehende Abstellkammer, die andere in ein sehr schönes Badezimmer mit Wanne und Dusche. Spontan beschloss ich, ein Bad zu nehmen, genoss die entspannende Wirkung des warmen Wassers und war danach hundemüde. Die kleine Lampe neben meinem Bett tauchte das Zimmer in angenehmes Dämmerlicht. Gerade wollte ich mich in die weichen Kissen sinken lassen, als mein Blick auf die Tür zur Abstellkammer fiel, die einen Spaltbreit offen stand. Wir hatten sie wohl nicht wieder richtig geschlossen, als Thora mir das Zimmer zeigte. Seufzend stieg ich wieder aus dem Bett und huschte auf nackten Füßen durchs Zimmer. Einem Impuls folgend, öffnete ich die Tür noch einmal, um mich zu vergewissern, dass der Raum dahinter auch wirklich leer war. Die Kammer war fensterlos, ungefähr zwei mal drei Meter groß und tatsächlich komplett leer. Was hatte ich denn erwartet? Dass dort plötzlich ein Geist hockte und mich angrinste? Blödsinn! Nachdenklich blieb ich einen Moment auf der Türschwelle stehen, überlegte, was man hier früher wohl abgestellt haben mochte, oder – und dabei stellten sich mir die Haare auf meinen nackten Unterarmen auf – wen. Eine plötzliche Kälte erfasste mich, so als ginge ein leiser Luftzug und ich merkte, dass mein Atem, der eben noch ruhig und gleichmäßig gewesen war, plötzlich schneller wurde, als käme ich mit Mühe eine steile Treppe hinauf gestiegen. Dabei stand ich völlig unbeweglich. Entschlossen trat ich einen Schritt zurück, schlug ich die Tür zu und erschrak selbst über das laute Geräusch, das ich dabei verursachte. Um alle Spukgedanken endgültig zu vertreiben, drehte ich auch noch den Schlüssel um und vergewisserte mich, dass die kleine Tür nun fest verschlossen war. Zufrieden ging ich ins Bett und fiel in einen traumlosen Schlaf.

Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich ein typischer Bauchschläfer bin? So lag ich auch hier, im Himmelbett des Gutshauses, selig schlafend auf dem Bauch, bis … eine eiskalte Hand mir an den Po griff! Ich war sofort hellwach, drehte mich herum, setzte mich auf und sah mich im Schein des Mondlichts, das durchs Fenster fiel, in meinem Zimmer um. Alles wirkte ruhig, niemand außer mir war hier. Und doch. Ich hatte die Hand gespürt, ganz deutlich. Meine linke Pobacke fühlte sich noch eiskalt an. Hatte ich so realistisch geträumt? Dann fiel mein Blick auf die Tür der Abstellkammer. Sie stand wieder einen Spaltbreit offen. Wie konnte das sein? Ärgerlich sprang ich aus dem Bett und schrie leise auf. Meine linke Pobacke verkrampfte sich schmerzhaft, sodass ich zur Abstellkammer mehr humpelte, als ging. Kopfschüttelnd öffnete ich die Tür und betätigte den Lichtschalter. Das grelle Licht blendete mich kurzzeitig, trotzdem glaubte ich, eine Bewegung wahrzunehmen. Ein Flirren, wie man es im Sommer manchmal über dem heißen Asphalt sehen kann. Nur, in der Kammer war es eiskalt, viel kälter als in meinem Zimmer. Und, auch wenn ich es rational nicht erklären konnte, ich fühlte mich nicht allein. Ich spürte, wie die Kälte von meinem ganzen Körper Besitz ergriff, fast wollte das Entsetzen mich lähmen, doch das durfte ich nicht zulassen. Hastig zog ich mich an, warf meine Sachen in den Koffer, klemmte einen Einhunderteuroschein unter den Fuß der Nachttischlampe und verließ fluchtartig das Zimmer. Direkt gegenüber meiner Zimmertür lag der Zugang zum Dienstbotentreppenhaus und somit der kürzeste Weg nach draußen. Ich stolperte mehr, als dass ich lief, die steile Treppe hinunter und es grenzte an ein Wunder, dass ich es nicht Friedrich gleichtat und hinabstürzte. Unten angekommen heulte ich auf, wie ein verwundetes Tier. Die Tür zum Garten, in die rettende Freiheit - sie war verschlossen! Kein Schlüssel steckte, sodass ich in der Falle saß. Mir blieb nichts weiter übrig, als die steile Treppe mit wachsendem Entsetzen wieder hinaufzusteigen. Obwohl mein Koffer nur klein und leicht war, fiel mir das von Stufe zu Stufe schwerer, denn eine eigenartige Lähmung schien sich, ausgehend von meiner immer noch eiskalten und mittlerweile gefühllosen linken Pobacke, in meinem Körper auszubreiten. Irgendwo in der Tiefe des Hauses glaubte ich, Gelächter zu hören, höhnisch und mehrstimmig.

Mit letzter Kraft erreichte ich den Flur, schleppte mich an meinem Zimmer vorbei, nach vorn, zur großen Freitreppe. Mittlerweile konnte ich das linke Bein nicht mehr richtig bewegen, ich zog es mehr hinter mir her, als dass es mich trug. Die große Tür an der Freitreppe war zwar auch verschlossen, jedoch zu meinem Glück nur mit einem Riegel, der sich normalerweise leicht von innen öffnen ließ. Meine Hände zitterten jedoch so stark, dass es mir erst beim dritten Versuch gelang, ihn zurückzuschieben. Die kühle Nachtluft wirkte befreiend. Ich merkte, wie mein Atem ein wenig ruhiger, meine Gedanken klarer wurden. Was blieb, war das Ziel: fort von hier. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr, wie es mir gelang, die äußere Schlosstreppe hinabzukommen. Ich fand mich jedenfalls irgendwann in meinem Cabrio wieder, das immer noch am Fuße der Freitreppe stand, und dankte im Geiste dem Verkäufer, dem es gelungen war, mir die Version mit Automatikgetriebe aufzuschwatzen. Mit meinem nun völlig steifen linken Bein wäre es mir unmöglich gewesen, eine Kupplung zu betätigen. Ich sauste mit Vollgas vom Hof, dass die Kiesbröckchen nur so durch die Gegend flogen. Aus den Augenwinkeln sah ich im Mondlicht die Gestalt der Alten vom Friedhof am Straßenrand, mit Kittelschürze und Gummistiefeln. Sie winkte mir hinterher. Oder schüttelte sie drohend die Faust?

2052

So ihr Lieben, nun aber genug Spukgeschichten erzählt. Slopentied.“
Ich drücke die beiden Mädchen an meinen dicken Busen und geleite sie dann ins Bett. Dass ich mein linkes Bein noch ein bisschen nachziehe, fällt kaum jemandem auf. Die Lähmung war zum Glück nicht von Dauer. Ja, ich bin eine echte Bilderbuchgroßmutter geworden. Mit großem Busen, großem Herz, ein bisschen füllig. Nur meine linke Pobacke ist immer noch klein und knackig, wie bei einer Fünfundzwanzigjährigen. Und eiskalt.

***

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2 Kommentare:

  1. Jaaaa wie gut, ich hab total Gänsehaut bekommen!!
    Der Schluss ist der Knaller und hat bei mir so eine Art Flashback ausgelöst!!!
    Außerdem konnte ich mir alles sehr bildlich vorstellen xD
    Sehr sehr gut! :.D

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  2. Coole Geschichte!!!!

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Danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meinen Blog zu lesen. Ich freue mich über Deinen Kommentar.