Donnerstag, 26. April 2012

Der kleine Kobold


(Eine Geschichte für Maren und alle, die sich ein Happy End wünschen.)

Maren erwachte, weil irgendetwas sie an der Nase kitzelte. Langsam schlug sie die Augen auf, versuchte ihre Benommenheit abzuschütteln und wunderte sich. Ein winziger Sonnenstrahl fiel durch die dicken, dunklen Wolken, die vom Wind eilig über den Himmel gejagt wurden. Und dieser einzelne Sonnenstrahl schien ihr direkt auf der Nase herum zu tanzen, zu hüpfen und zu sagen: „Aufstehen, Mittagsschlaf beenden, raus ins Leben!“  Als hätte er nur darauf gewartet, dass sein Frauchen endlich die Augen öffnete, kam nun auch Boy herbei gesprungen, wedelte mit dem Schwanz und sah sie aus seinen braunen Hundeaugen erwartungsvoll an. So großer Unternehmungslust gab sie sich lachend geschlagen. „Ist ja gut“, murmelte sie, „ich komm ja schon.“

Nur zehn Minuten später bewegte sich eine lustige kleine Gesellschaft über die Wiese auf den Wald zu. Vorneweg lief Boy, der Riesenschnauzer. Hinter ihm stapfte Maren durch das feuchte Gras, froh darüber, dass sie ihre Gummistiefel angezogen hatte. Ein Stückchen hinter ihr versuchte, mit kleinen Tippelschritten, die Katze Schritt zu halten und gleichzeitig den besonders hohen und damit auch besonders nassen Grashalmen auszuweichen. Schade, dass es keine Gummistiefel für Katzen gab, sie wäre bestimmt ein dankbarer Abnehmer dafür. Und dann waren da noch die beiden Pferde, die auf der anderen Seite des Koppelzaunes mitliefen, als wollten sie nichts verpassen. Man konnte ja nie wissen.

Die Pferde blieben allerdings mit langen Gesichtern am Waldrand zurück, denn dort endete die Koppel. Kurze Zeit später war der Rest der kleinen Truppe aus ihrem Blickfeld verschwunden, als hätte der Wald sie verschluckt. Sie wandten sich wieder den Grashalmen auf der Wiese zu, die ihnen an diesem Ende besonders saftig erschienen.

Der Wald umfing die Wanderer mit seinem Grün wie ein großer, hoher Tempel. Von allen Seiten erklang Vogelgezwitscher und plötzlich huschte kurz vor ihnen ein Eichhörnchen über den Weg. Boy hatte gerade in eine andere Richtung geschaut und es nicht einmal bemerkt, nur die Katze zuckte kurz zusammen, interessierte sich dann aber wieder für die Sonnenstrahlen, die vor ihnen über den Boden tanzten. Sie sprang tatsächlich hin und her und versuchte, die Lichtflecken zu fangen! Lustig sah das aus, und Maren musste lachen.

Immer weiter liefen sie in den Wald hinein. Maren bewunderte die vielen bunten Blumen. Als hätte ein Riese weiße und gelbe Anemonen, blaue Veilchen und saftig grünen Waldmeister miteinander verwoben und unter den hohen Bäumen wie einen Teppich ausgerollt. Plötzlich erfüllte ein sanftes Rauschen die Luft. Der leise Wind wurde etwas stärker und die tanzenden Sonnenstrahlen verschwanden. Im nächsten Augenblick fielen auch schon die ersten Regentropfen fast geräuschlos auf den weichen Waldboden. Maren schlug ihre Kapuze hoch, lächelte und sagte zu sich selbst und ihren Tieren „Na und? Wir sind doch nicht aus Zucker!“ Die Katze sah sie mit grünen Augen tadelnd an, als wollte sie sagen „Katzen haben nicht nur keine Gummistiefel, sondern auch keine Kapuze!“, lief aber weiter hinter Maren und dem Hund her. 

Kurze Zeit später kamen sie an eine Waldlichtung, die trotz des Regens von innen heraus zu leuchten schien. Boy blieb stehen und wedelte mit dem Schwanz und auch die Katze sah angestrengt auf die Mitte der Lichtung. Da war doch etwas? Oder besser gesagt - jemand? Mitten auf der Wiese lag ein kleiner Kobold und ließ sich lächelnd den Regen ins Gesicht fallen. Es schien ihm überhaupt nichts auszumachen, dass kleine nasse Bächlein seine Wangen hinab liefen und rechts und links in den Kragen tropften. 

Die kleine Gesellschaft trat vorsichtig näher, Boy bewegte schnüffelnd die Nase in der Luft und die Katze lief mit steil aufgerichtetem Schwanz direkt auf das Männchen zu. Der Kobold schlug die Augen auf, und die drei Besucher blieben wie angewurzelt stehen. Das Lächeln des kleinen Mannes wurde breiter, er sprach:
Was wünscht Ihr?“ Als Maren sofort antworten wollte, hob er abwehrend die Hand und fuhr fort:
Seid vorsichtig mit dem, was Ihr Euch wünscht, Ihr könntet es bekommen.“ 

Maren bewunderte die Gelassenheit, mit der er die Tropfen auf sich fallen ließ und, als hätte er ihre Gedanken erraten, sprach er weiter.
Wenn Du den Regen im Gesicht spürst, weißt Du, dass Du lebst. Ohne Regen gibt es keinen Regenbogen. Bewahre Deinen Wunsch im Herzen. Wenn Du einen Regenbogen siehst, darfst Du Dir etwas wünschen!“
Plötzlich, beim nächsten Augenaufschlag, war er verschwunden.

Maren dachte lange über seine Worte nach. Wenn es doch wirklich so einfach wäre mit dem Wünschen ... Langsam wurde es Zeit, nach Hause zu gehen. Es regnete immer noch, als sie wieder aus dem Dickicht des Waldes traten, wo die Pferde, weiterhin friedlich grasend, auf sie gewartet hatten. Trotz des Regens bahnten sich ein paar Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Wolken und genau über der Wiese begann ein riesiger, wunderschöner Regenbogen zu leuchten. Was waren das auf einmal für tapsige Schritte hinter ihr? Maren drehte sich um und bekam vor Staunen große Augen, bevor sie herzhaft zu lachen begann. Die Katze trug tatsächlich Gummistiefel! Rote Gummistiefel mit weißen Punkten! An allen vier Füssen! Und Boy, was war mit ihm? Was hielt er da im Maul? Das war doch eine Kette Rehbratwürstchen, die guten, wie Maren sie manchmal vom Jäger bekam! Donnerwetter! Sollte der Kobold recht gehabt haben, mit dem Wunsch, den sie jeder offen hatten? Maren überlegte, denn ein Wunsch lag ihr schon lange auf dem Herzen. War jetzt der Zeitpunkt, ihn aussprechen? 

In diesem Moment kitzelte ein winziger Sonnenstrahl ihre Nase und sie erwachte auf ihrem Sofa aus dem Mittagsschlaf. Sie fühlte sich ganz benommen, so real war der Traum ihr erschienen. Entschlossen sprang sie auf. „Boy! Katze! Wir gehen in den Wald“, rief sie, während sie ihre Gummistiefel anzog.

Im Wald kicherte ein kleiner Kobold ...



Donnerstag, 12. April 2012

Das Duell

Wir gingen gemeinsam durch die Wiesen. Vor Lebensfreude übersprudelnd und da mich Niemand ausser Dir hören konnte, sang ich kleine, kindische Phantasielieder und fühlte mich leicht und unbeschwert dabei. Meine gummibestiefelten Füsse patschten übermütig durch alle Pfützen und ich bewunderte die vielen verschiedenen Nuancen von Grün. Die Wiese war ein paar Töne heller als das Getreidefeld und die Bäume und Büsche zeigten sich je nach Art auch von Weidengelbgrün über Lärchengrün und Holundergrün bis zum Fastgrün der Buchen.

Du schnüffeltest als wolltest Du die ganze Welt einatmen, wedeltest mit dem Schwänzchen und warst der glücklichste Hund weit und breit.

Unser Haus war bereits in Sichtweite, wir liefen am Bach entlang, der sich durch die Wiesen schlängelte. Nach dem Regen der letzten Tage gurgelte und plätscherte er und schien ebenfalls vor Lebensfreude fast überzusprudeln.

Da flog ein Entenpärchen auf, das im hohen Gras am Bachufer wohl verliebt geschnäbelt hatte und sich durch uns ertappt und aufgeschreckt fühlte. Du ranntest hinterher und schienst wie jedes Mal zu hoffen, dass Du doch noch fliegen könntest. Wenn Du nur schnell genug rennen würdest, die Ohren noch kräftiger im Wind flattern würden, dann... ja dann könntest Du Dich vom Boden lösen und fliegen. Kleiner dummer Hund! Doch gerade diese Naivität, dieses nie Aufgeben und immer wieder Versuchen liebte ich so an Dir, bewunderte ich und versuchte selbst ein wenig so zu sein wie Du.

Dann geschah es. Die Enten flogen über die Strasse, knapp über die Motorhaube eines kleinen Lieferwagens hinweg und Du - flogst hinterher!!!

Es war ein ungleicher Kampf, David gegen Goliath, 15 Kilogramm Fellbündel gegen knapp 2 Tonnen Blech. 

Inzwischen haben wir den Schaden am Auto fotografiert - ein Scheinwerfer hängt heraus, wie ein Auge, das nur noch am Sehnerv baumelt. Das Nummernschild ist ab, und die Motorhaube schliesst nicht mehr richtig. Ziemlich verzogen, der alte Hundefänger.

Und Du? Liegst in Deinem Körbchen, leckst Dir Deine aufgeschürften Hundeellenbogen und träumst weiter vom Fliegen, als wäre nichts passiert. Sieger, eindeutig.

Kann es sein, das Dein Schutzengel gemeinsam mit Dir geflogen ist?

Mittwoch, 4. April 2012

Das Urteil der Paris

Eine Kiste voller Äpfel steht in meiner Garage, auf ihre endgültige Bestimmung wartend, seit dem Herbst. Wunderschöne Äpfel sind es gewesen, knackig, saftig und verlockend.

Doch nun haben wir: eine Handvoll Äpfel, mit braunen Stellen, unappetitlich und nur noch für den Kompost geeignet. Euch gebe ich gern fort, Ihr seid vergangen und aus dem Herzen.

Dann Ihr, mit den Falten und weichen Stellen. Nicht mehr knackig, aber immer noch aromatisch. Einen ganzen Topf füllt Ihr. Als feines Apfelmus werdet Ihr den nächsten Herbst mir versüssen.

Ein oder zwei fehlen so ganz? Fortgetragen auf Nimmerwiedersehen? Von den Mäusen. Schade, doch habt Ihr vielleicht den Mäusen über den Winter geholfen. So habt Ihr letztlich Euren Zweck erfüllt, wenn auch nicht bei mir.

Ganz auf dem Grund der Kiste, fast übersehen zwischen Zeitungsknüllpapier, liegt noch ein Apfel. Reif und saftig, nicht von diesem Jahr, immer noch verlockend. Ihn werde ich meinem Liebsten bringen...